Die Rheinpfalz - Marktplatz Regional Landau Edenkoben ; Mittwoch, den 22. April 2015
Jeder spürt ein bisschen Schuld
Herxheim: Theater-Szenario des Pamina-Schulzentrums überzeugt mit „Homevideo“ – Aktuelles Stück über Cybermobbing
Von Brigitte Schmalenberg
Cybermobbing geht uns alle an. Und der preisgekrönte Spielfilm „Homevideo“ aus dem Jahr 2011 zeigt, welche dramatischen Auswirkungen Cybermobbing haben kann. Das Theater-Szenario des Pamina-Schulzentrums in Herxheim hat den brisanten Stoff in der professionellen Inszenierung von Ben Hergl und Regieassistent Sebastian Jüllich am Freitagabend auf die Chawwerusch-Bühne gebracht und mit mutigem Schauspiel für Eindrücke gesorgt, die dem Publikum tief unter die Haut gegangen sind.
Stell’ dir vor, dir passiert eine superpeinliche Sache und jeder kann das zu jeder Zeit an jedem x-beliebigen Ort im Internet ansehen. Heute. Morgen. Immer. Schon ein sehr lebenserfahrener Typ wäre mit so einer Situation überfordert. Wie aber soll das ein pubertierender Teenager verkraften, der schon durch seine tief ins Gesicht gezogene Mütze und die stets übergestülpten Ohrhörer signalisiert, dass er sich am liebsten ganz in sich selbst zurückziehen würde? Der mit seinen verkrachten Eltern, seinen lästernden Freunden, seinen immer schlechter werdenden Noten und seinen Emotionen zwischen einer zart aufkeimenden ersten Liebe und dem mächtig wachsenden Sexualtrieb schon mehr als genug zu tun hat?Jakob (Moritz Hahn), dem sympathischen, ein bisschen linkischen und ziemlich schüchternen Protagonisten dieser Geschichte, ist genau das passiert. Er hat beim Gedanken an seine Freundin Hannah (Alina Oborocea) beim Onanieren gefilmt. Dann sind Kamera samt Speicherkarte in falsche Hände und die Bilder seines stöhnenden Gesichts unauslöschlich ins weltweite Netz geraten. Mit den Folgen kommt Jakob nicht klar. Er ist tot, noch bevor die rückblickende Handlung auf der Bühne beginnt.
Jetzt stehen die Menschen, die ihm nahe waren, wie Angeklagte im Scheinwerferlicht. Blicken mit ungläubigen, entsetzten, auch traurigen Augen ins Publikum und rechtfertigen ihr Handeln. Niemand wollte, dass sich Jakob das Leben nimmt, aber fast jeder spürt ein bisschen Schuld an diesem Drama.
Die Rekapitulation des Geschehens macht klar: Jakobs Eltern (Lukas Walz und Nina Ziller) waren zu sehr mit ihrer Scheidung und der verzwickten Situation um die neue Lebensgefährtin (Franziska Walter) der Mutter beschäftig. Der großmäulige Platzhirsch Henry (Raffael Bittig) und seine Begleiter – die supercoole Tine (Ella Lechner) und der Skateboarder Erik (Annika Marz) – sind im Besitz der Speicherkarte und setzen Jakob damit unter Druck. Die Mitschüler (Milena Püttmann, Malou Detzel und Talia Masino) haben die Dimension der persönlichen Tragik unterschätzt und die Schulleiterin (Luca Baumann) wiederum war vor allem um Diskretion bemüht, um den guten Ruf der Schule nicht zu gefährden.
So katapultierte sich Jakob, dessen unausweichliches Schicksal in seiner sich stetig steigernden Dramatik bis zum Selbstmord durch Erschießen fast schon an Goethes Werther erinnert, aus einem Leben, in dem er in verzweifelter Situation keine Zukunft mehr sah. Er fühlte Spott und Hohn auf sich niederprasseln, schämte sich vor Hannah und konnte die Albträume, die ihn in überdimensionalen Bildern (Videoaufnahmen: Patrick Borchardt) verfolgten, nicht mehr abschütteln.
Auch die Zuschauer werden wohl noch lange an diese intensive Inszenierung denken. Die jungen Schauspieler haben durch die Bank weg mutig und sehr glaubwürdig gespielt. Sie haben jede Figur zu einer Type werden lassen und zugleich mit feinen Charakterzügen versehen. Der enthusiastische Applaus nach 80 Minuten „Homevideo“ zeigte, dass Schultheater dieser Art wirklich Schule machen sollte.